Praktikumsbericht Ines Birkner

(17.07.2013)

1. Einleitung
Im Rahmen meiner Praktikumssuche beschloss ich, mich für einen Platz in Peru zu bewerben. Schon seit längerem interessiere ich mich für lateinamerikanische Länder und beherrsche glücklicherweise die dortige Landessprache Spanisch. Nach anfänglichen Internetrecherchen wandte ich mich an das peruanische Konsulat in Frankfurt am Main, von dem ich mir hilfreiche Adressen erhoffte und schnell bekam.

Unter den fünf genannten Adressen befand sich die von Herrn Görgens, Gründer der Peru-Hilfe in Uedelhoven. Es dauerte keine 24 Stunden, da bekam ich eine positive Rückmeldung auf meine Praktikumsanfrage für den Zeitraum Februar-März 2012. Herr Görgens empfahl mir das Projekt „Casa de la Mujer Santa Rosa“ in Callao/Lima, wo sich Ordensschwestern der Adoratrices unter anderem um junge Prostituierte, drogenabhängige und obdachlose Mädchen und deren Kinder kümmern und diese in ihre Unabhängigkeit begleiten.

1.1 Kurzportrait Peru-Hilfe
Seit 1988 unterstützt Peru-Hilfe, mit Sitz in Uedelhoven/Eifel, mehrere kurz- und langfristige Projekte im Raum Lima unter dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“. Angefangen mit dem Bau von Kaninchen- und Hühnerställen, bis hin zu Verschiffungen von Containern mit Medizin- und Handwerkstechnik sowie Schulbedarf, werden heute vor allem Schulen, Soziale Arbeit, Krankenstationen und der Aufbau von Infrastruktur finanziell und materiell unterstützt. Dabei ist die Organisation ausschließlich auf private Spenden angewiesen, die je nach Dringlichkeit und Umfang in die jeweiligen Projekte einfließen.

Wichtig für die Zusammenarbeit zwischen der deutschen Organisation und den peruanischen Hilfeempfängern ist eine Ansprechpartnerin, die unter anderem die Koordination vor Ort beaufsichtigt und leitet. Diese sehr anspruchsvolle Aufgabe erfüllt Melva Delgado Vera, ehemalige Direktorin der einzigen Taubstummen-Schule (CPAL -  Centro Peruano de Audicion y Lenguaje) in ganz Peru. Da es bislang kaum eine Förderung von Menschen mit Behinderung in Peru gab/gibt und dies eine nahezu aussichtslose Zukunft für die Betroffenen bedeutet, setzt sich Peru-Hilfe auch hier tatkräftig ein.

Dringend benötigt und permanent gesammelt werden auch Sachspenden wie funktionsfähige Hörgeräte. Neben technischer Ausstattung und der Ausbildung von Fachkräften durch deutsche Spezialisten, wird sich besonders für stark benachteiligte Familien eingesetzt. 

Eine weitere Aufgabe, der sich Peru-Hilfe widmet, ist zum Beispiel ist die interkulturelle Begegnung unter peruanischen und deutschen Schülern. Über das Medium Internet kann ein Austausch stattfinden und Kinder können voneinander lernen und Verständnis füreinander entwickeln. Zudem ermöglicht Peru-Hilfe peruanischen Projektpartnern regelmäßige Besuche nach Deutschland. Dadurch haben sie die Chance, sich direkt mit deutschen Spendern oder Helfenden auseinanderzusetzen.

Seit Jahren vermittelt Peru-Hilfe junge Menschen aus dem medizinischen, pädagogischen  oder sozialen Bereich nach Peru. Ihnen wird die Möglichkeit gegeben, sich in soziale Projekte einzubringen und vor Ort Erfahrungen mit Menschen aus einem fremden Kulturkreis zu sammeln. Konkret erhalten vor allem sozialwissenschaftlich orientierte PraktikantInnen einen Einblick in die Strukturen der örtlichen sozialen Arbeit.

So auch in dem Projekt der Adoratrices in Callao/Lima. Peru-Hilfe leistet dort seit mehr als zehn Jahren tatkräftige Unterstützung, vornehmlich in finanzieller Form. Bislang wurden auf diesem Wege ein Computerraum, eine Nähwerkstatt und ein Kosmetikstudio eingerichtet bzw. modernisiert. Nach meinem Aufenthalt wurde das Angebot der internen Bäckerei mit Straßenverkauf erweitert, wo es bislang noch an einem durchdachten Verkaufskonzept mangelt.

Jährlich stattfindende Besuche von Herrn Görgens ermöglichen eine unmittelbare und persönliche Absprache über Anschaffungen vor Ort. Den Leitgedanken seiner Arbeit fasst Herr Görgens wie folgt zusammen:

„Die Peru-Hilfe in Uedelhoven will mit ihrem Tun und Handeln dazu beitragen, dass allen Menschen dieser Erde ein Leben in Würde ermöglicht wird, obwohl der Weg dorthin lang und steinig ist. Mit finanzieller Unterstützung, Gebet, Mut und tiefem Vertrauen ist es zu schaffen.“

1.2 Informationen zum Projekt „Casa de la Mujer Santa Rosa“ 
Das Projekt „Casa de la Mujer Santa Rosa“ der Adoratrices liegt in Callao, einem von Gewalt und Armut geprägten Stadtteil Limas. In enger Zusammenarbeit mit dem peruanischen Familien- und Gesundheitsministerium, Nichtregierungsorganisationen, Adoptionsvermittlungsstellen, Heimen sowie mit der Polizei, kümmern sich Ordensschwestern vor allem um junge Prostituierte und deren Kinder. Der Orden „Adoratrices“ ist finanzieller und religiöser Mentor des Projektes.

Das Team besteht aus zwei Sozialarbeiterinnen im Office Bereich und sechs bis acht Sozialarbeiterinnen, die sich im Schichtsystem um die Mädchen und ihre Kinder sorgen. Wobei manche „Mutter“ selber erst 10 Jahre alt ist. Eine Psychologin, zwei Ärzte, Kindergärtnerinnen und Lehrer leisten ebenfalls tatkräftige Unterstützung. Einzel-, Gruppen- und Familiengespräche sowie Hausbesuche bei den Familien und Behördengänge zählen zu den verantwortungsvollen Aufgaben der ausschließlich weiblichen Sozialarbeiterinnen. Finanziert wird das Personal zum einen aus staatlichen Mitteln, zum anderen von dem Orden der „Adoratrices“. Die Lehrer und Sozialarbeiterinnen sind meistens in einem festen stattlichen Beruf und verdienen sich im „Casa de la mujer“ ein Zubrot.

Die Mission der Adoratrices ist es, junge Mädchen im Alter von ca. 10-18 Jahren, die Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt geworden sind, vor Ausbeutung und Diskriminierung zu schützen und sie in ein selbstbestimmtes Leben zu resozialisieren. Zunächst wird den von der Polizei aufgegriffenen Jugendlichen Obhut und Schutz in einer von bewaffnetem Sicherheitspersonal bewachten Wohnanlage geboten. Eine drei Meter hohe Mauer mit Stacheldraht schützt zudem vor Übergriffen aus der Umgebung und verhindert nicht erlaubtes Entfernen von dem Gelände. Vergangene aktive Übergriffe der ehemaligen „?eschützer“ auf Mädchen im „Casa de la mujer“ zeigen, dass permanente Aufmerksamkeit und die besonders strikte Einhaltung von Sicherheitsbedingungen notwendig sind.

Innerhalb der Anlage leben rund 40 Mädchen in betreuten Wohngruppen, mit jeweils zwei bis drei direkten Bezugspersonen. Je nach Entwicklungsstand bzw. Situation werden die Jugendlichen in das „Acogida“-Haus (Ankunftshaus), das Haus der „Mamás“ (Mutter-Kind-Haus) oder das der „Nueva Juventud“ (die neue Jugend) untergebracht. Das Haus der „Nueva Juventud“ beherbergt diejenigen, deren nächster Schritt die Entlassung in ein eigenständiges oder weiterhin betreutes Leben außerhalb der sicheren Mauern sein wird. Die Verweildauer beträgt, abhängig von der jeweiligen Problematik, zwischen sechs Monaten und drei Jahren und ist spätestens mit der Volljährigkeit beendet.

Die Mädchen erhalten neben einer Unterkunft, Nahrung, psychologischer und medizinischer Versorgung, die Möglichkeit, einen Schulabschluss oder eine Ausbildung anzustreben. Lehrer kommen dazu auf den Campus und bieten allgemeinen Schulunterricht sowie eine Ausbildung zur Computerfachfrau, zur Schneiderin, Kosmetikern oder Bäckerin an. Berufe, die den Mädchen in Lima vor allem eine selbstständige und zukunftssichere Arbeit gewährleisten sollen.

Im Alltag der Mädchen finden sich die katholischen Glaubensgrundsätze in Form von täglichen Tischgebeten, wöchentlichen Messen, ständiger persönlicher Anteilnahme und inniger Zuwendung wieder. Die enge Zusammenarbeit mit den Familien der Mädchen und vor allem der eigene Wille, etwas verändern zu wollen, sind entscheidende Bestandteile hin zu einer erfolgreichen Resozialisierung. 

2. Meine Zeit als Praktikantin
Im Folgenden werde ich meine ersten Eindrücke von meiner Ankunft, meiner Unterkunft und den für meine kommenden sechs Wochen wichtigen Personen schildern. Anschließend soll konkret auf meine Tätigkeiten im Projekt eingegangen werden. An dieser Stelle bietet es sich an, ein Fallbeispiel näher zu betrachten und die einzelnen Arbeitsschritte der Sozialarbeiterinnen, an dessen Seite ich mitgewirkt habe, genauer zu beschreiben. Eine kurze Reflexion soll dann aufzeigen, inwiefern der Aufenthalt für mich eine Bereicherung dargestellt hat und welche Bedeutung die kulturellen Unterschiede diesbezüglich hatten.

2.1 Erste Eindrücke
Ich wurde sehr freundlich und interessiert am Flughafen Limas begrüßt. Die Ambivalenz der Millionenmetropole wurde für mich schon auf der einstündigen Fahrt zu meiner Wochenendunterkunft deutlich sichtbar. Zwischen vierspurigen Schnellstraßen befanden sich  permanent bewässerte Grünanlagen und hoch moderne Bürogebäude. In unmittelbarer Nähe davon verkauften Minderjährige allerlei Waren an der Straße, Tag und Nacht.

Wir fuhren nach Monterrico, einem sicheren und wohlhabenden Viertel Limas. Hier könne ich mich frei bewegen, versicherte man mir. Dieser Hinweis hat mich zunächst sehr verwundert, war ich doch gewohnt mich überall frei zu bewegen. In dem Haus von Melva Delgado Vera bezog ich ein sehr geräumiges Zimmer im ersten Stock und wurde mit dem Hausmädchen bekannt gemacht.

Bedingt durch den klimatischen Wechsel, von nasskaltem Februarwetter auf südamerikanische sommerliche Temperaturen war eine Eingewöhnungszeit von mehr als einer Woche notwendig. Diese Umstände, die ich so nicht einkalkuliert hatte, haben mich in meiner anfänglichen Arbeitseuphorie sehr ausgebremst, sodass ich über den Tag verteilt mehrere Pausen einlegen musste.

2.2 Beschreibung meines Arbeitsplatzes und meiner Tätigkeit
Alleine machte ich mich montags früh auf den Weg zum Projekt. Fast zwei Stunden Busfahrt, dreimaliges Umsteigen und ein deutlich sichtbares soziales Gefälle lagen zwischen meiner Wochenendunterkunft und meinem Arbeitsplatz in Callao. Hier angekommen wurde ich erneut sehr herzlich empfangen. Auch dort wurde mir ein geräumiges Zimmer mit eigenem Bad und eigenen Schlüsseln im „ Acogida“-Haus übererlassen.

Die Mädchen wirkten auf mich zunächst sehr distanziert, ich kam mir fremd vor. Erst beim gemeinsamen Mittagessen lockerte sich die Atmosphäre und wurde von Tag zu Tag freundschaftlicher.

In meiner anfänglichen Orientierungslosigkeit wandte ich mich schnell an eine Sozialarbeiterin und erhoffte mir Arbeitsaufträge. Bevor es dazu kam, erklärte sie mir in einem ziemlich schnellen Spanisch und sehr ausführlich, was ihre Aufgaben als Sozialarbeiterin in dem Projekt sind. Schon hier merkte ich, mit dem Verstehen kam ich nicht ganz nach. Was ich jedoch rasch begriff: ich war eine der ersten Praktikantinnen, und es gab es keinen erprobten Tagesablauf bzw. genaue Arbeitsaufträge seitens der Sozialarbeiterin. Ich organisierte mich selbst.

Ich bat um Akteneinsicht, um mich mit der Thematik vertraut zu machen und begleitete die Mädchen vornehmlich in ihrem Tagesablauf. Mahlzeiten, Gebete, Schulunterricht, Stuhlkreise und vieles mehr gehörten dazu. Und auch das persönliche Gespräch sowie Körperkontakt wurde von den jungen Frauen häufig gesucht. Daraus ergab sich die Problematik eine passende Anrede für mich zu finden. Während die Sozialarbeiterinnen „?ami“ genannt wurden, schlug ich vor „amiga“ (Freundin) Ines zu sein.

Was fiel noch unter meine Tätigkeit? Als die zweite Sozialarbeiterin des Office Bereiches aus dem Urlaub kam, begleitete ich sie auf Hausbesuche in entfernten ländlichen Gebieten. Diese nahmen teilweise einen ganzen Tag in Anspruch und waren für mich sehr aufregend. Wir erledigten außerdem wichtige Behördengänge zum Familienministerium, dort wurden von der Registrierung der Mädchen bis zur Rückführung in die Ursprungsfamilie alle Abläufe in Kooperation besprochen und festgelegt. Daneben war eine Adoptionsvermittlungsstelle ein weiterer Anlaufpunkt, Hier wurde je nach Notwendigkeit über mögliche Adoptionen gesprochen.

Neben diesen projektbezogenen Aufgaben und Erfahrungsmöglichkeiten, konnte ich Herrn Görgens zu weiteren Projekten von Peru-Hilfe begleiten und beratend zur Seite stehen. In der Schule San Franzisko in Huaycan, wo das Mittagessen von ca. 1000 Schülern finanziert wird, kam es aufgrund von gestiegen Nahrungsmittelpreisen zu Engpässen. Dies besprach man vor Ort und Lösungswege wurden gemeinsam gefunden. In CPAL, der Gehörlosenschule, stellten wir erfreulicher Weise fest, dass die große Anzahl von gesammelten Hörgeräten Verwendung gefunden hat und so vor allem die Situation vieler Kinder deutlich verbessert werden konnte. Des Weiteren besuchten wir in Cocharcas eine Krankenstation. Durch das zur Verfügung gestellte Ultraschallgerät aus Deutschland konnten bereits tausende Untersuchungen vorgenommen werden, besonders im Bereich der Schwangerschaftsvorsorge. Diese persönlichen Besuche ermöglichten eine direkte, den Bedürfnissen entsprechende Hilfe.

3. Soziologische Betrachtung
Im Folgenden werde ich versuchen, die von mir erlebten Umstände während meines Praktikums aus soziologischer Sicht zu betrachten, einzuordnen und zu bewerten. Ich möchte dazu die Entwicklungsmöglichkeiten und Sozialisationsbedingungen von den mir bekannten Mädchen vor, während und nach ihrem Aufenthalt im Projekt beschreibend reflektieren. Außerdem werde ich diesbezüglich auf die vier Interventionsphasen der sozialen Arbeit vor Ort eingehen.

Zumeist werden die neun bis 16 Jährigen von der Polizei aufgegriffen und nach Rücksprache als Notfall aufgenommen. Am Folgetag wird dann festgestellt, aus welchen Gründen ein Verbleib notwendig ist. Oft kommen die Mädchen aus ländlichen Gebieten, aus einer Lebenswelt, wo Armut und Perspektivlosigkeit herrschen. Bis zu zehn Stunden Weg legen sie zurück, um in Lima durch (Kinder-)Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen oder um vor Gewalteinflüssen innerhalb der Familie zu fliehen.

Aus meiner Akteneinsicht ging hervor, dass fast alle eingelieferten Mädchen, die im Prostitutionsmilieu aufgegriffen wurden, schon innerhalb der Familie oder im nahen Bekanntenkreis sexuell missbraucht worden sind. Drogen und Alkohol erleichtern ihnen im frühen Jugendalter das Ertragen dieser Lebensbedingungen. Prostitution und Drogenabhängigkeit werden zum Teufelskreis.

Ihre Ankunft im „Casa de la mujer“ stellt quasi einen neuen Lebensabschnitt dar, in dem sie nachholen können, was sie das Leben auf der Straße gekostet hat. Schulische und berufsspezifische Ausbildung sowie ein geregelter Tagesablauf mit intensiver Zuwendung in familiären Kleingruppen werden hier neu erlebt. Facetten des sozialen Zusammenlebens können jetzt erst entdeckt und in einem geschützten und einfühlsamen Umfeld gefestigt werden.

Die soziale Arbeit umfasst grundlegend vier Phasen der Intervention.
1.  „Acogida“ - die Aufnahme (ca. 2 Monate): Es wird evaluiert und diagnostiziert, in welcher Verfassung sich das jeweilige Mädchen befindet. Persönliche sowie  Angaben zum familiären Umfeld werden erfasst, insoweit dies möglich ist. Manchmal gibt es Verständigungsprobleme aufgrund des unterschiedlichen Dialektes, die Mehrheit hat keine Ausweispapiere dabei und verheimlicht zunächst Herkunft und Familie. Diese Bedingungen erfordern von den Sozialarbeiterinnen besonders viel Empathie und Geduld, um das Vertrauen der Mädchen zu gewinnen.
2.  „Desarrollo“ - der weitere Verlauf/ Entwicklung (bis zu 12 Monate): Hier geht es zunächst darum, das individuellen Potentiale der Jugendlichen zu erfassen, zu stärken und Entwicklungsräume zu schaffen. Emotionale und soziale Unterstützung wird begleitet von medizinischer Versorgung. Ersteres findet sowohl in Einzel- und Gruppensitzungen wie auch in Familiengesprächen statt. Nach einer anfänglichen Phase des „Vertrauen schaffen“ wird sich nun der gezielten (psychologischen) Stärkung des Selbstwertgefühls gewidmet. Der einst verschwommen Identität wird wieder neue Kontur verliehen. Besonders die Übertragung von Verantwortung in Form von beispielsweise Ordnungs- oder Küchendienst verhilft den Mädchen zu Eigenständigkeit und Selbstvertrauen.
3.  „Reinserción“ – die Resozialisierung (ca. 6 Monate): Gemeinsam mit der Familie und dem Jugendlichen wird ein Konzept der Rückführung erarbeitet. Wie kann diese stattfinden? Was muss sich bis dahin noch ändern/verbessern? Kann überhaupt eine Rückführung stattfinden? Oft stellen sich auf Seiten der Mädchen große Ängste ein, in ihre Familien zurück zu kehren. Sie fühlen sich ausgeschlossen und schuldig. Auch fragen sie sich, warum gerade sie in ein „Heim“, wie das der Adoratrices, gekommen sind und nicht ihre Eltern zur Verantwortung herangezogen worden sind. Hier wird deutlich, dass der Familientherapie, als ganzheitliche Therapie, eine große Bedeutung zu kommt. Erst wenn das Wohl des Kindes in der Familie sichergestellt ist und die familiären Strukturen gefestigt sind, kann eine Rückführung verantwortet werden.
4.  „Seguimiento“ - die Nachsorge (ca. 3 Monate): Nach dem Aufenthalt im Casa de la Mujer findet eine Nachbetreuung der Familie statt. Es wird genauestens beobachtet, ob eine Festigung der soziofamiliären Bindungen erreicht wurde und eine Rückführung erfolgreich war. Über periodische Hausbesuche wird dies ermittelt.
 
Besondere Problematiken finden intensive Beachtung. Ungewollte Schwangerschaften werden medizinisch betreut und psychologisch aufgearbeitet. Die anfängliche Ablehnung des ungeborenen Kindes, durch meist eigene Gewalteinwirkung, wird deutlich positiv beeinflusst. (von ca. 40 jungen Frauen, waren zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes zwölf schwanger oder bereits Mutter). Und auch die Entzugserscheinungen nach Absetzen der Drogen erforderten hohen Einsatz aller Beteiligten.


Die diesbezüglichen Vorschriften stießen zunächst auf Unverständnis und Gegenwehr. Die daraus resultierenden Spannungen entluden sich untereinander. Nicht selten kam es zu Konkurrenzverhalten, was sich besonders auf herkunftsspezifische Differenzen zurückführen ließ. Ob jemand aus dem Norden oder dem Süden Perus kam, aus ärmlichen oder privilegierteren Verhältnissen, spielte eine große Rolle in der Hierarchie sowie in der sozialen Gruppendynamik.

Ich konnte während meines Aufenthaltes überdies hinaus beobachten, dass es vor allem „Neuankömmlinge“ schwer hatten, als Mitglied aufgenommen zu werden. Dies konnte ich sehr gut nachempfinden, da ich zu Beginn einen ähnlichen Status hatte. Fremde weckten zunächst Misstrauen und Unsicherheit. Mir wurde irgendwann klar, dass die Mädchen einen kontinuierlichen Bezugsrahmen und dauerhafte Bezugspersonen benötigen, um Vertrauen und Sicherheit zu gewinnen. Der Abschied fiel daher beiderseits sehr schwer.

Mit spätestens 18 Jahren beginnt für die Mädchen ein weiterer neuer Lebensabschnitt. Ob eine Rückkehr zur Ursprungsfamilie möglich und erstrebenswert ist, wird genauestens geprüft. Nicht selten begann genau dort der initiierte und kontrollierte Weg in die Prostitution. Volljährige werden in ein eigenständiges Leben entlassen und weiterhin, je nach Notwendigkeit, begleitet. Oft bekommen sie ein Zimmer gestellt und können mit den erworbenen Fähigkeiten der Berufsausbildung für ihren Lebensunterhalt sorgen.

Ich konnte beobachten, dass dieser letzte Schritt besonders schwierig für die Mädchen ist. Zwar streben alle ein Leben in Selbstbestimmung an, damit verbunden ist jedoch der Verlust, der über einen langen Zeitraum gewachsenen und sicheren Bindungen.


5.  Resümee
Meine Zeit als Praktikantin war eine sehr erfahrungsreiche aber auch von traurigen Schicksalen geprägte Zeit. Die Teilnahme an der sozialen Arbeit mit jungen Erwachsenen, die ihre Kindheit unter mir äußerst schwierig erscheinenden und fremden Bedingungen verbracht haben, hat meinen Horizont enorm erweitert.

Vor meiner Anreise konnte ich mir nicht vorstellen, wie soziale Arbeit in Peru von Statten geht. Jetzt weiß ich: den Umständen und Örtlichkeiten entsprechend werden Strukturen geschaffen, die mit europäischen bzw. deutschen nicht zu erfassen wären. Leider mangelt es im sozialen Sektor noch an finanzieller staatlicher Unterstützung. Investiert wird in die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Daher sind die kirchliche und ehrenamtliche Arbeit von so großer Bedeutung.

Ich danke für die herzliche Aufnahme, die Offenheit und das mir entgegengebrachte Verständnis für alle meine Fragen. Der Aufenthalt im „Casa de la Mujer“ ermöglichte mir den Einblick hinter die Kulissen sozialer Arbeit. Am Leben für mich ganz besonderer Mädchen teilhaben zu dürfen und die Schattenseiten einer Großstadt auf diese sehr unmittelbare Art zu erleben, war eine einzigartige Erfahrung.

Ines Birkner


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